Feigheit oder psychische Erkrankung?

Feigheit oder psychische Erkrankung?

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Redactie 10 octobre 2016 736

Die Entbehrungen, die fortwährende Angst und die Machtlosigkeit des Individuums ließen den Schützengrabenkrieg nicht nur physisch, sondern vor allem auch psychisch zur Tortur werden. Ein großer Teil der Soldaten erlitt einen Zusammenbruch und konnte auch ohne sichtbare Verwundungen nicht mehr funktionieren. Die britische Armee zählte bis zum Kriegsende 80 000 Opfer des „shell shocks“, auf Deutsch „Kriegszitterer“ genannt. 
 

"Hoe het zenuwgestel van den soldaat lijdt", Belgisch dagblad 10/05/1916, p. 4
 
In den ersten Kriegsjahren galten diese Männer einfach als Feiglinge, die ihre Beschwerden simulierten, um von der Front wegzukommen. Erst ab 1916 erkannte man an, dass der „shell shock“ eine echte Erkrankung war. Über deren Behandlung jedoch bestand sehr viel Uneinigkeit. Manche Ärzte setzten sich für gesonderte Behandlungszentren hinter den Linien und in Großbritannien ein. Sie behandelten das Kriegszittern mit Hypnose oder auf die gleiche Art wie Hysterie: mit Elektroschocks oder Kaltwasserbädern. Für die Heeresleitung waren diese Soldaten in psychiatrischen Einrichtungen dagegen eine „Vergeudung“ von Truppenstärke. Und so entschied man sich immer öfter dafür, möglichst wenig Männer aufgrund eines shell shocks zu evakuieren. Soldaten mit einem Zusammenbruch bekamen ein oder zwei Tage Urlaub, gutes Essen und eine saubere Uniform und wurden wieder an die Front zurückgeschickt. Zeigte ein Soldat zu lange Anzeichen einer Traumatisierung, suchte man die Ursache in seiner schwachen Natur und ganz gewiss nicht im Krieg. Die Heeresleitung war der Ansicht, Soldaten dürften für einen Nervenzusammenbruch nicht „belohnt“ werden. Sie erhielten kein Verwundetenabzeichen und keine Pension. Nur wenn der Zusammenbruch deutlich im Zusammenhang mit einer Explosion stand, erhielt der Soldat doch den Status eines Verwundeten. Die Heeresleitung tat sich weiterhin schwer mit dem Fehlen physischer Ursachen des Kriegszitterns.